Aufklärungsstation Diesdorf - Erlebnisbericht  
Startseite Gitzel  
Startseite Diesdorf  
Erlebnisbericht >>>
Fotos von 1994  
Plan der Station  
Kontakt  
Briefe an meine Eltern sind grau unterlegt, Erinnerungen aus heutiger Sicht in weiß
Beelitz, 8.6.82
Bin gestern aus dem MED-Punkt entlassen worden und wollte Euch mitteilen, daß wir
voraussichtlich bis 14.7. weg sind. Meine Adresse dort ist:
Soldat Thomas Gitzel
3562 Diesdorf
PF 88871/P
Ihr könnt mir also schreiben, Besuch ist nicht möglich. Wir packen gerade alle unsere Säcke, da wir fast alles mitnehmen, was wir haben. Die abgehenden Briefe werden übrigens dort gelesen.
Diesdorf - das bedeutete für einige Wochen das Leben im Wald unter einfachsten Bedingungen.
Leben in Zelten, ohne Ausgang, ohne Urlaub, Waschen mit kaltem Wasser.
Ich war Soldat beim Aufklärungsbataillon 1 (Beelitz) und im Juni 1982 fuhren wir das erste Mal nach Diesdorf. Eigentlich war ich nicht als Funkaufklärer ausgebildet, da ich in den letzten Tagen der Grundausbildung verletzt wurde und den Beginn der Ausbildung verpasste. Eines Tages wurde ich zum Hauptfeldwebel (Spieß) der Funkaufklärungskompanie befohlen. Ob ich Kassettenrecorder reparieren kann, fragte mich Oberfeldwebel S. Als ich bejahte, sagte er mir, ich sollte meine Sachen packen, am nächsten Tag geht es los. Abends bekamen wir noch eine Einweisung in den Einsatz.
Wir fuhren in einer Kolonne, ich saß mit weiteren Soldaten zusammen hinten auf einem LkW.
Im Morgengrauen erreichten wir Diesdorf. Es folgte die Übernahme des Lagers von der vorherigen Einheit. Es gab ein sogenanntes “Diensthabendes System”, eine Aufklärungseinheit hatte immer in Diesdorf Dienst. Nun waren wir also dran.
Den ersten Tag verbrachte ich damit, der Nachrichtenwerkstatt mit der Verlegung von
Stomleitungen zwischen den einzelnen Zelten zu helfen. Jedes Zelt bekam eine Lampe und eine
Steckdose. Dies waren sogenannte Finow-Kupplungen, ein wettersicheres System.
Diesdorf, 13.6.82
Alles ist zum Teil recht behelfsmäßig, wir schlafen in 6-Mann-Zelten, das Wasser wird mit Autos rangefahren. Man ist viel an der frischen Luft. Alles ist hier etwas lockerer als im Objekt. Manchmal weiß man nicht, ob man sich so verhalten soll, wie man es in der Grundausbildung gelernt hat, das fällt dann meist auf. Zum Glück ist es zur Zeit nicht mehr so heiß, allerdings müssen wir nachts heizen.
Zum Waschen ging man zu einer Waschanlage, die aus einer sogenannten Wasserkuh gespeist
wurde. Natürlich gab es nur kaltes Wasser. Manchmal füllten wir das auch in die Blechschüsseln ab, erwärmten es auf dem Ofen und “duschten” dann anschließend am Zelt. Nachts mußte noch geheizt werden. Für das Nachlegen der Kohle während der Nacht war die Wache zuständig.
In jedem Zelt waren 6 Soldaten in Doppelbetten untergebracht. Die Zelte standen auf Betonplatten und waren mit einem Kanonenofen ausgestattet. Jeder Soldat hatte auch einen Spint. In den ersten Tagen reparierte ich Kassettenrecorder.
Diesdorf, 14.6.82
Die Armee ist eben eine ganz andere Welt. Auch wenn man im 1. Diensthalbjahr von den anderen Soldaten viel einstecken muß, das war bestimmt schon immer so und wird sich auch nicht ändern.
Das sowas nicht gerade zur Festigung der Kampfkollektive beiträgt, versteht sich von selbst. Im
Ernstfall soll ja jeder für den anderen einstehen, man soll sich gegenseitig helfen. Das ist ein
Widerspruch...
Da immer Soldaten unterschiedlicher Diensthalbjahre in einem Zelt untergebracht waren, gab es auch hier - wie in der Kaserne - die üblichen Spielchen. Ich erinnere mich daran, daß ich eines Abends für die älteren Semester singen sollte, “damit sie besser einschlafen können”. Aber vermutlich sang ich so laut, daß das der Kompaniechef in seinem Zelt hörte. Am nächsten Tag wurde ich in ein anderes Zelt verlegt und bekam eine neue Aufgabe.
Zu Trinken brauche ich nichts, da wir hier was zu kaufen kriegen. Uberhaupt ist die kulturelle Betreuung ganz gut. Wir haben ein Kinozelt, ein Fernsehzelt, Tischtennisplatte. Heute waren wir Duschen in einer benachbarten Kompanie.
Eigentlich jeden Tag gab es Kino in einem großen Kinozelt. Der Politoffizier holte die Filme vermutlich aus einer benachbarten Grenzeinheit. Das waren nicht nur Propagandafilme. In der Mitte des Filmes gab es immer eine Pause, da es nur einen Projektor gab und die Rolle immer gewechselt werden mußte.
Alle offiziell ausgehenden Briefe - und als Soldat im ersten Diensthalbjahr hatte ich kaum Alternativen - wurden vom Politoffizier gelesen. Einmal sagte er mir, ich solle nicht soviel über das Lager schreiben. Dafür revanchiere ich mich hiermit, Oberleutnant Dö.....
Es gab auch einige Besonderheiten im Lager gegenüber dem Leben in der Kaserne: So war zum Beispiel die Grußpflicht aufgehoben, es gab keinen Ausgang, keinen Urlaub, keinen Besuch, keinen Frühsport.
Diesdorf, 25.6.82
Ausgang gibt es nicht, jedenfalls nicht für uns. Der Ort Diesdorf ist ca. 1,5 km entfernt....
Es ist jetzt 19.40 Uhr und die meisten sitzen im Fernsehzelt (Fußballfans). Habe gerade einige Tage anstrengender Schichtarbeit hinter mir. Immer 8 Stunden Wache, 8 Stunden “Ruhe” u.s.w. Tag und Nacht. Ganz schön belastend. Aber während man Wache steht, hat man genug Zeit, über vieles nachzudenken. Die Kumpels hier behandeln mich auch schon etwas korrekter. Wenn wir wieder ins Objekt kommen, komme ich ja wieder mit den alten Kumpels aufs Zimmer, wenn wir nicht nochmal umquartiert werden. Aber dieses Jahr fahren wir nochmal hier her (wahrscheinlich). Sicher wird dann aber die Zeltordnung anders sein. Was Papa da schreibt, daß man die Zähne zeigen soll, manchmal, kann vielleicht stimmen, aber erstens bin ich nicht der “Schläger-Typ” und zweitens zieht man sowieso den Kürzeren, weil man eben als “Glatter” nichts zu melden hat.
Später wurde ich zur Wache einem Funktechnischen Aufklärer zugeteilt. Es kann aber auch ein Peilfahrzeug gewesen sein. Das Fahrzeug stand etwa 500 m vom Lager entfernt auf einer Wiese. Ich hatte die Wache im 8-Stunden-Rythmus und war für die Versorgung des Stromaggregates zuständig, das sich etwa 50 m vom Fahrzeug in einem kleinen Wäldchen befand. Da wir manchmal Langeweile hatten, bastelten wir aus Elektozündern kleine Bömbchen, die wir auf dem Weg, auf dem sich unsere Ablösung nähern mußte vergruben und mit Feldkabel mit einer Stromversorgung im Fahrzeug verbunden. Schließlich waren wir auch jung. Dieser Streich gegenüber den Kameraden hatte aber ein Nachspiel. Die Grenzaufklärer hatten wohl etwas von den Detonationen mitbekommen und so gab es eine Untersuchung, bei der ich auch befragt wurde. Seltsamerweise bekam ich anschließend eine Belobigung für die Teilnahme am Lager.
Diesdorf, 7.7.82
Nun hat sich in der wahrscheinlich letzten Woche unseres Aufenthaltes doch noch eine Veränderung ergeben. Ich bin in den Küchenbereich umgezogen und mache ca. noch für eine Woche Ordonanz.
Dabei stelle ich die Verpflegung u.ä. für die Vorgesetzten bereit.
Jetzt, zwischen Mittag und Abendbrot habe ich ein paar Stunden Zeit.

Als Ordonanz hatte ich den Offizieren das Essen zu bringen und die Kaffee-Küche im Offiziersspeisezelt zu betreiben. Das war ein langer Tag. Nur zwischen Mittagessen und Abendessen gab es eine größere Pause. Ansonsten kam eigentlich immer jemand zum Kaffeetrinken. Am Ende meiner Ordonanztätigkeit hatte ich einen für Soldatenverhältnisse beträchtlichen Überschuss an finanziellen Mitteln erwirtschaftet. Einmal sollte ich dem diensthabenden Offizier in der oberen Etage des Turmes einen Kaffee bringen. Er lud mich auf eine Partie Schach ein. Dabei fiel mir auf, daß die ganze Zeit NDR im Radio lief. Später erfuhr ich, daß es wegen der Truppenbewegungen war, die über die Verkehrsmeldungen bekannt gegeben wurden. Das floß also in die Aufklärung mit ein. Eine Etage tiefer saßen ca. 5 Funkaufklärer pro Schicht, die mit einem Funkempfänger die Funksprüche jenseits der Grenze mithörten. Ich erinnere mich, daß Sonderurlaub versprochen wurde, wenn jemand den Beginn eines Manövers mitbekam. Aber da gab es auch noch eine schöne Anekdote, die immer wieder erzählt wurde: Die “gegnerische” Seite gratulierte eines Tages unserem Kompaniechef über Funk zum Geburtstag. Mit Namen und Altersangabe. Die wußten also nicht nur, daß wir da waren, sondern auch, wer wir waren.

Im September fuhren wir erneut zum Einsatz, diesmal war ich zuerst für 3 oder 4 Wochen auf einer Peilflanke, das sind Außenstationen eines Zentrums, die mit diesem in Verbindung stehen, Funkquellen anpeilen und so den Standort aufklären. Hier waren wir zu Fünft: 1 Kommandant, 2 Funkpeiler und 2 Wachen pro Station in einem Zelt mitten im Wald mit einem Peilfahrzeug, einer kleinen Wasserkuh und einem selbstgebrabenen Klo mit Donnerbalken. Jeden Tag wurden wir mit Essen, dem täglichen Bedarf und Post versorgt.
Anschließend fuhren wir wieder nach Diesdorf und ich bekam einen Job in der Nachrichenzentrale.

Diesdorf, 2.10.82
Diesen Brief werde ich wieder einem Kraftfahrer mitgeben. Meine Nachtschicht in der Vermittlung hat gerade begonnen, es ist 22.45 Uhr. Nachts ist immer nicht viel los, da kann man sich schon mal aufs Ohr legen. Im Prinzip habe ich also einen ruhigen Posten. Wenn mir auch schon einige Hauptmänner den Hals umdrehen wollten, weil ich sie angeblich getrennt habe. Aber durch die Leitung kommen sie nunmal nicht durch.
Ich hatte Dienst in der Nachrichtenzentrale im Keller des Turmes. Dort war meine Aufgabe die Herstellung von Verbindungen innerhalb des Lagers und nach außerhalb. Alle Einheiten hatten Tarnnamen und die Offiziere hatten Nummern. Es wurde im Schichtdienst gearbeitet. Während des Dienstes hörte ich Radio. Ich hatte so ein winziges Radio, was natürlich streng verboten war.
Natürlich hörte ich auch den Nachrichtenaustausch mit. So erinnere ich mich an ein Gespräch unseres Kompaniechefs mit dem Stasi-Beauftragten unserer Heimat-Einheit, in der es um die Teilnahme eines Soldaten an der Ehrenparade der NVA am 7. Oktober 1982 in der Karl-Marx-Allee in Berlin ging. Da er familiäre Probleme hatte, wurde er von der Teilnahme ausgeschlossen.

Soviele Süßigkeiten hättet Ihr garnicht schicken brauchen, ich bin ja von den 3 Wochen Flanke noch so fett. Dort bekam man das Essen, meist sogar noch etwas mehr, gebracht. Bewegen bzw. Laufen darf man nicht (Grenzgebiet, 3,4 km bis Grenze), nun da wird man automatisch gemästet. Hier erfahre ich erst so langsam, was es eigentlich bedeutet, hier sein zu “dürfen”: Alle, die hier draußen sind, sind vom Ministerium für Staatssicherheit als 100%ig bestätigt. Unser Zugführer meinte, in 10 Jahren, wenn man alles schon wieder vergessen hat, könne man vielleicht mal eine Auslandsreise ins kapitalistische Ausland beantragen. (in 10 Jahren, hi hi, Anm.)
Für die guten Leistungen beim Gefechtseinsatz bin ich mit einem “Ausgang außer der Reihe” belobigt worden. Den habe ich aber noch nicht angetreten. Ich hätte aber lieber einen Tag Sonderurlaub gehabt, aber das ist schon eine Stufe höher. Urlaub wird es wohl während des Einsatzes hier nicht geben, also erst im November.

Habe ja ganz vergessen, daß ich noch 2 Karten von Diesdorf erstanden habe. Da könnt Ihr mal sehen, wie es hier aussieht. Überwiegend gibt es Landwirtschaft (Schweinemast), ferner eine Süßmost- und Weinkelterei, so daß wir hier schönen Apfel-, Kirsch- und Johannisbeermost bekommen. Es gibt auch Obstweine (soganannter “Bretti”, von “Bretterknaller” abgeleitet), die wir hier allerdings nicht kriegen. Eine Flasche kostet hier aber nur 2,75 M oder so (Bretti).

Diesdorf, 9.10.82
Vorhin habe ich gerade für den Leiter der Funkwache (eine Etage höher) einen Kaffee gekocht. Die Jungs da oben haben wirklich manchmal Streß. Da habe ich wirklich Glück gehabt mit meinem Posten. Von einigen werde ich bezeichnenderweise “Der Urlauber” genannt, weil ich eben so einen Keimposten habe und immer mit einem großen Beutel (Fressalien, Cola, Bücher, Kaffee...) zum Dienst gehe. Übrigens sind wir jetzt 3 Mann in der Zentrale, also immer 8 Stunden Dienst, 16 Stunden frei u.s.w.

Diesdorf, 9.10.82
Habe gerade meine vorletzte Nachtschicht angetreten, anschließend habe ich dann eine Woche nachmittags Dienst (14.00-22.00). Dabei ist der Nachteil, daß man das Fernsehprogramm erst ab 22 Uhr sehen kann.
Morgen ist wieder Sonntag, da bekommen wir wieder 1 Bier pro Nase für 1,- M bzw. Luxator für 1,30 M.

Jeden Sonntag gab es pro Mann eine Flasche Bier. Ich erinnere mich daran, daß einige Kameraden mit ihrem Bier einen regelrechten Handel betrieben. Mir reichte allerdings diese eine Flasche pro Woche, um in einen tiefen Nachmittagschlaf zu fallen...
Diesdorf, 20.10.82
Heute war ein besonderer Tag. Die E’s (Entlassungskandidaten, 3. Diensthalbjahr Anm.) haben “ins Objekt verlegt”, das heißt die sind wir für immer los. Jetzt sind wir schon inoffiziell 2. Diensthalbjahr.
Auch das zukünftige 3. Diensthalbjahr erkennt uns schon als “Vize” an, obwohl die “offiziellen” Maßnahmen dazu noch nicht waren. Es gibt also keinen Streß mehr, jeder von uns kennt seine wenigen Aufgaben, die er zu erledigen hat. Da jetzt also weniger Leute hier sind, sind wir heute umgezogen. Unser Zelt wurde zum Fernsehzelt umfunktioniert und ich bin jetzt in einem anderen Zelt mit 3 “Jung-Es” und noch 2 “Vizen”. Wir teilen uns den Zentralen-Dienst mit 3 Mann. Ich habe erstmal die Nachtschicht übernommen = sehr ruhig, kaum Gespräche.
Ich sprach vorhin von “offiziellen” Maßnahmen, durch die ein “Schnieps” “Vize” wird: Da ist zum einen das sogenannte “Aal-Duschen”, bei der der “Glatte” vom “Aalschleim” befreit wird. Das geschieht meist mit einem kalten Wasserstrahl. Weiterhin wird dann der “Jung-Vize” zum “Vize” geschlagen. Damit ist er dann “Vize” und ist berechtigt, die Spange zu tragen. Diese Plaste-Vorrichtung am Schlüsselbund, die zunächst noch leer bleibt, beherbergt später das Bandmaß.
Ich habe von meinen E’s eine Spange bekommen. Sie liegt in Beelitz im Schrank. Werde Euch zu gegebener Zeit über den Abschluß dieser Maßnahmen berichten...
Vorhin hatte ich noch was vergessen: Bei 333 Tagen wird man “Goldstaubedelvize” (So ein Quatsch, was?!)

Ende Oktober fuhr ich mit einem Major im Kübelwagen zurück nach Beelitz und bekam eine neue Aufgabe beim Bau eines elektronischen Gerätes für die "Messe der Meister von Morgen".

Etwa ein Jahr später nahm ich wieder an diesem DHS teil, aber diesmal war ich nicht im Lager stationiert, sondern hatte mit meiner Einheit die Aufgabe, die Flanken der Funkpeiler mit Essen und allem möglichen Zeug zu versorgen, was für das Leben im Wald gebraucht wurde. Außerdem waren wir für die Einsatzbereitschaft der Nachrichtenverbindungen zwischen den Peilern und dem Zentrum verantwortlich. Dieser Einsatz war insofern besonders, da wir mit den “gegnerischen Kräften” mitwanderten, von der Altmark bis zum Eichsfeld.

Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2002 (genau 20 Jahre nach Diesdorf...)

 

Verwandte Seiten:
www.lostplaces.de